Mittwoch, 4. August 2010

Dreissigster Eintrag

Die Reise nach Györ verlief ohne irgendwelche Probleme. Ich nahm den Nachtzug und kam gegen 9 Uhr morgens an. Ich schlief im Nachzug ziemlich bald ein, nachdem ich mir im Speisewagen noch ein Glas Rotwein gegönnt hatte. Und ich schlief irgendwie sogar ziemlich gut, was verwunderlich war ob diesen eher wenig luxuriösen Pritschen in meinem Schlafabteil. Einzig einmal wurde ich wach, nachdem sich irgendein Typ versehentlich in mein Abteil verirrt hatte. Und wenig später stritten irgendwelche Leute in einer fremden Sprache draussen auf dem Gang.

Jedenfalls traf ich dann gegen 9 Uhr morgens relativ ausgeschlafen ohne Verspätung in Györ ein. Eigentlich wollte Onkel Laszlo mich dort abholen kommen, nur hatte er etwas Verspätung, weil er mit seinem Verleger noch ein kurzfristig abgemachtes Treffen hatte. Onkel Laszlo ist ja Schriftsteller und dort gehört das irgendwie dazu. Er mag die Verleger zwar nicht, aber muss trotzdem Freundschaften mit ihnen pflegen. Ich könnte sowas echt nicht...

Da Laszlo erst so gegen Mittag da sein konnte und ich Zeit totschlagen wollte, ging ich mir ein wenig die Füsse vertreten. Zuvor versorgte ich allerdings noch meinen echtledernen Reisekoffer, den ich mir damals mit dem Geld gekauft habe, das ich während meines Ferienjobs im Kino verdient hatte. Ich habe Filme ja sehr gerne, also das heisst, die Filme, welche in den Art Cinemas gezeigt werden. Damals musste ich die Eintrittskarten entwerten und den Vorführsaal nach der Vorstellung reinigen. Die Bezahlung war zwar nicht wahnsinnig toll, aber dafür konnte ich mir die Filme jeweils gratis ansehen.

Naja, jedenfalls lief ich danach ein wenig durch die Strassen Györs, ohne jedoch etwas zu sehen, das mir irgendwie gefallen hätte. Die Stadt ist, um sie ohne politische Korrektheit zu beschreiben, hässlich. Und auch die Menschen sind irgendwie komisch. Kaum einer lacht einmal; stattdessen gehen sie alle emotionslos und starren Blickes ihres Weges und beachten einander kaum.

Nach einer Weile hatte ich genug gesehen und ging wieder zurück zum Bahnhof, wo ich mich in eine stickige Wartehalle setzte und wartete. Dann irgendwann kurz vor Mittag trat Laszlo in den Warteraum. Er sah gut aus in seinem dunkelgrauen Veston, dem weissen Hemd und der weinroten Leinenhose. Sein langes, nach hinten gekämmtes Haar ist einiges grauer geworden, seitdem ich ihn das letzte Mal gesehen habe, aber es steht ihm ganz gut, lässt ihn irgendwie reifer und halt so wie ein typischer Schriftsteller wirken.

Es war ein freudiges Wiedersehen. Es war wohl schon gut drei Jahre her, seitdem ich ihn zu Letzt gesehen hatte, aber es fühlte sich überhaupt nicht so an. Es war eher, wie vor einem Monat oder so. Und trotzdem freute ich mich. Wir umarmten uns, klopften uns gegenseitig auf die Schultern und scherzten

- Ich weiss, das sagen alte Männer immer, aber Jérôme, du bist wirklich gross und erwachsen geworden, seitdem ich dich das letzte Mal sah
- Danke, du bist aber auch reifer geworden
- Ah ich sehe, mutig geworden bist du auch

Er lachte und gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf.

- Nein, nur Spass. Du hältst dich gut, Onkel. Steht dir gut der Veston und die Hose
- Jaja musstest du ja fast sagen, willst ja schliesslich ein Bett worin du schlafen kannst. Komm, gib mir deinen Koffer und lass uns gehen.

Wir stiegen in Onkel Laszlos alten Peugeot und fuhren los. Zu Beginn auf einer gut in Stand gehaltenen Autobahn, die immer schlechter zu werden schien, umso weiter wir uns von der Stadt entfernten. Je näher wir Balatonberény kamen, desto mehr Schlaglöcher gab es. Wir redeten nicht viel während der Fahrt, aber es war ok. Ich mag Laszlos Ruhe, die er ausströmt. Er wirkt so abgeklärt und erfahren.

Am frühen Nachmittag kamen wir in Balatonberény an. Laszlo wohnt immer noch in dem kleinen Häuschen, das er sich nach dem Tod seiner Frau gekauft hatte. Er lebt dort lediglich mit seiner Hündin Belle und seinen Büchern.

Obschon das Häuschen so klein ist und vermutlich auch genau deshalb, hab ich es sehr gerne. Betritt man das Haus, so gelangt man direkt ins Wohn- und Arbeitszimmer. Laszlo hat die Wände in einem warmen Gelbton gestrichen und die stützenden Holzbalken mit einer dunkelbraunen Beize behandelt. Wenn man zur Türe hereintritt blickt man auf ein grösseres Chesterfield-Sofa, neben dem ein gemütliches Sofa steht. Davor befindet sich ein Clubtisch, auf dem viele verschiedene Zeitungen herumliegen. Auf der rechten Wandseite, gegenüber des Chesterfields, befindet sich ein Flachbildfernseher, der aber nicht oft benutzt wird, so wie ich Laszlo kenne. Links von der Haustüre befindet sich eine Regalfront, die prall gefüllt mit allerlei Büchern ist. Rechtwinklig dazu befindet sich Laszlos grosser Arbeitstisch, von dem aus man durch die grosse Fensterfront hinaus direkt auf den Plattensee hinuntersehen kann. Hinter der Sitzgruppe bzw. hinter dem Sessel befindet sich Laszlos Schlafzimmerchen, von dem aus man das ebenfalls winzige Badezimmer betritt. In die halboffene Küche gelangt man man durchs Wohnzimmer. Die Küche befindet sich gleich neben Laszlos Schreibtisch. Darin befindet sich ausser der Küchenkombination bloss noch ein kleines Tischchen, das für gerade einmal zwei Personen Platz bietet, aber für ihn alleine wiederum völlig ausreichend ist.

- Fühl dich wie zu Hause. Liest du in der Zwischenzeit lieber als früher? Schnapp dir ein Buch wenn du möchtest. Wenn es dir gefällt und du willst, kannst du es auch gerne mit nach Hause nehmen. Du kannst übrigens in meinem Bett schlafen, ich werde mich mit dem Sofa begnügen und auf Belle aufpassen. Sie ist ja in der Zwischenzeit schon etwas älter geworden und auch nicht mehr die beste Wachhündin
- Ach komm, ich schlaf schon auf dem Sofa, ist kein Problem
- Sei nicht albern! Du bist mein Gast!

Die Sonne war besonders heiss und drückend an diesem Tag, oder vielleicht war es auch die Sonne in Ungarn. Jedenfalls machte uns das Wetter müde. Wir legten uns deshalb ein wenig hin und machten ein Nickerchen. Am frühen Abend begannen wir dann gemeinsam zu kochen. Es gab ein saftiges Paprikagulasch. Mit meiner Mutter koche ich eigentlich nie, hab irgendwie ständig ein komisches Gefühl dabei, aber mit Laszlo machte es Spass. Als es langsam eindunkelte assen wir draussen im Garten, tranken ein Glas Rotwein und sprachen ein wenig über meine Ferien, die Schule und Laszlos Lesung in Györ. Danach gingen wir schlafen, denn der Rotwein zeigte wieder einmal seine schlafbringende Wirkung.

5 Kommentare:

  1. mir fehlen irgendwie bilder in deinem blog... im mom muss man sich so überwinden alles zu lesen...

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  2. Das ist ja auch eindeutig kein FOTOBLOG!!!!!! Sondern einer, bei dem es eben um das Geschriebene geht ;-)

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  3. Ich finde es gut dass es nicht dieser typischen Blogs ist, ich mein lesen bildet euch einen irgendwie hallo? Der Blog so wie er ist mit dem erlebten & Co ist er genial! :D

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  4. Hmm ja Mars hat schon Recht, ich habe gehofft, dass ich es mit den Worten irgendwie schaffe, Stimmungen und Umgebungen genug gut beschreiben zu können, damit ich keine Bilder verwenden muss. Aber ich werd' mal nicht so sein und deshalb in Zukunft das Eine oder Andere Bild hochladen :)

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  5. jaa, ich mag den blog hier auch richtig gerne :))

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