Sonntag, 8. August 2010

Dreiunddreissigster Eintrag

Ich verliess Balatonberény am nächsten Morgen mit einem der ersten Züge in Richtung Schweiz. Onkel Laszlo fuhr indes nach Budapest um dort bei der französischen Botschaft einige Abklärungen zu machen. Es scheint ihm wirklich ernst zu sein mit dem Auswandern.

Die Zugfahrt verlief gut und ohne weitere Zwischenfälle, lediglich die Fahrt zu Beginn der Heimreise mit den Regionalzügen war unheimlich langsam. Während vor dem Zugfenster die immergleichen verwilderten Landschaften mit den vielen verlassenen Häusern und verrosteten Industrieanlagen vorbeizogen, las ich mich durch den «Fänger im Roggen». Je länger ich las, desto mehr gefiel mir die Geschichte. Ganz allgemein scheint von der Literatur eine tröstende Kraft auszugehen. Ich dachte über mein Verhältnis zu Hampi nach. Vielleicht ist er doch nicht so eine schleimscheissende Puppe ohne Inhalt. Vielleicht ist er sogar in Ordnung.

Gegen 1 Uhr nachts kam ich dann zu Hause in Zürich an. Es fuhr schon kein Tram mehr, weshalb ich ein Taxi nahm. Obwohl es mir ziemlich reizte, fragte ich den Taxifahrer nicht, ob er wisse, wo die Enten im Zürisee während des Winter blieben. Als ich nach Hause kam, stellte ich fest, dass meine Mutter mittlerweile aus den USA zurückgekehrt ist; im Entrée-Bereich standen ihre Koffer noch herum. Auch Hampi schien hier zu sein, denn es roch nach seinem Parfum, welches ich nicht leiden kann. Da mich die Reise ziemlich ermüdet hat, ging ich bald darauf schlafen.

Am nächsten Morgen weckte mich meine Mutter gegen elf Uhr. Sie klopfte an meine Tür und öffnete selbige.
- Hallo Jérôme. Schön dich endlich wieder zu sehen! Wie geht es dir? Bist du ausgeschlafen? War's gut bei Onkel Laszlo?
Hinter ihr stand Hampi ein wenig unbeholfen herum. Er schaute meine Mutter kurz über die Schulter und sagte mir ebenfalls Hallo.
- Hej. Ausgeschlafen noch nicht wirklich, aber die Reise war so weit gut. Mit Laszlo hatte ich viele gute Gespräche. Und ach übrigens, danke für das Buch, Hampi.
- Ach, keine Ursache. Konntest du es schon zu lesen beginnen?
- Ja, klar. Ich habe es durchgelesen. Es war ganz okay.
- Schön.
Er schien ihm irgendwie Freude zu machen, dass ich das Buch gelesen hatte. Hmm..Meine Mutter schlug vor, gemeinsam Mittagessen zu gehen. Ich war einverstanden. Hampi meinte jedoch, dass er noch ein paar Sachen bei sich zu Hause vorbereiten wolle. Auch das war mir Recht, um ehrlich zu sein.

Wir gingen ins Tibits. Das ist so ein Vegi-Restaurant unweit von uns entfernt. Ich bin zwar kein Vegetarier wie meine Mutter, ging aber trotzdem mit.

Als wir dort draussen an einem der Tische sassen und assen, wollte meine Mutter mehr über die Campingferien wissen, konnte es aber nicht lassen, mich schon wieder zu tadeln
- Und war es wenigstens toll, wenn du dafür schon die Nachhilfe hast sausen lassen?
- Ich hab nicht deswegen die Nachhilfe sausen lassen; der Lehrer riet mir davon ab, weiterhin zu komen.
- Ja, weil du total unmotiviert gewesen seist. Das kommt ungefähr auf dasselbe heraus.
- Hast du dir schon einmal die Frage gestellt, weshalb ich unmotiviert gewesen sein könnte?
- Na klar, mir scheint einfach, du begreifst nicht, um was es hier geht. Es geht um dein Leben!

Ich verspürte keine Lust, ihr die ganze Sache mit Aline zu erzählen und gab deshalb den wahren Grund für meine damalige Demotivation nicht an. Aber im Prinzip ging es ja in meiner Antwort um dasselbe

- Meinst du denn, dass das Leben nur aus Schule und guten Leistungen bestehe? Ich finde meinen Weg schon irgendwie. Mein Gott, man könnte ja meinen, ich sei der totale Versager!
- Ich mache mir halt Sorgen und ich will nicht, dass du nach deinem Vater kommst; dass du vor allen Schwierigkeiten im Leben fliehst.

Sie verstummte eine Weile und auch ich sagte nichts Weiter, da mich die ganze Sache mit meinem Vater zu Letzt arg verwirrt hatte. Irgendwann fuhr meine Mutter fort zu sprechen, wobei ihr selbiges sehr schwer fiel. Ihre Augen wurden feucht und sie schien nur mit Mühe ihre Tränen zurückhalten zu können.

- Du kennst ja jetzt die Geschichte, du weisst ja jetzt, was dein Vater uns damals angetan hat, oder? Laszlo hat es dir doch alles erzählt, oder?
- Ja...das hat er....

Meine Mutter verbarg ihr Gesicht in ihren Händen und rang sichtbar bewegt mit ihren Gefühlen.

- Es tut mir so leid, dass ich dir das nicht selbst erzählt habe, aber ich konnte es einfach nicht...es tat so weh...ich wollte bloss, dass du so normal aufwachsen konntest, wie es halt ging. Aber irgendwann musstest du alles auch mal erfahren

Sie wollte noch weiterreden, aber konnte nicht mehr, denn ihre Gefühle übermannten sie. Es war alles sehr unangenehm für mich. Sie tat mir ja Leid und ich sehe meine Mutter seit einigen Tagen in einem völlig anderen Licht, aber ich war wie blockiert. Ich konnte sie weder trösten, noch irgendwie sonst reagieren. Die Situation überforderte mich und ich wollte bloss nur noch weg.

Wir verliessen den Ort wenig später. Ich lag zu Hause auf meinem Bett und dachte über alles, was ich in den letzten Tagen so erfahren hatte nach, als mich ein SMS von Aline erreichte. Ich hatte sie vor einigen Stunden gefragt, ob wir uns treffen könnten, aber sie ist leider noch für einige Tage weg in den Ferien, wie sie mir schrieb. Aber danach würden wir uns sehr gerne treffen können, meinte sie.

Ich lag weiterhin in meinem Bett, döste ein wenig und hörte im Hintergrund Death Cab For Cutie. Seit einiger Zeit mag ich diese Band wirklich sehr. Im Verlaufe der Zeit wurde mir immer mehr bewusst, dass in mir ein grosses Bedürfnis herrscht, mit meinem Vater über all diese Dinge zu reden. Ich möchte seine Version der Geschehnisse hören. Deshalb schrieb ich ihm kurzerhand ein SMS, fragte ihn, wo er sei und sagte ihm, dass ich gerne mit ihm reden würde. Wenig später schrieb er mir zurück, dass er im Tessin sei und gerade ein wenig ausspanne. Ich könne gerne vorbeikommen; am Besten gleich morgen. Die Idee ist gut, wie ich finde. Auch meine Mutter meinte, dass es wohl nicht schaden könne. Morgen werde ich jedenfalls für ein paar Tage nach Lugano verreisen.

2 Kommentare:

  1. auch, wenn ich leider nicht jeden eintrag von dir gelesen habe aus zeitmangel... aber immer wenn ich einen lese, tauche ich in deine welt ein und freue mich über deinen styl zu schreiben/beschreiben/erzählen.

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  2. Danke, freut mich das zu hören :)

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