Donnerstag, 5. August 2010

Einunddreissigster Eintrag

Abendstimmung in Balatonberény

Nach einem ausgiebigen Frühstück gingen wir runter an den See, um dort zu fischen. Bisher war ich noch nie fischen, aber es ist irgendwie angenehm. Laszlo nennt es eine "verlangsamende Tätigkeit". Alles sei heute so schnell und unbeständig. Was gestern noch galt, gelte heute schon nicht mehr; Wertvorstellungen, wie wir über den Kapitalismus denken und was die Menschen in einem Land zusammenhält. Das Fischen hingegen bleibe. Es sei schon seit Jahrhunderten dasselbe.

Naja, ich weiss nicht genau wie er das gemeint hat. Es ist ja normal, dass sich die Dinge ändern. Die Mode, Freunde und unsere Zukunftspläne. Ich hatte nie das Gefühl, dass etwas bleibt oder länger Bestand haben würde. Es ist wie mit diesem Panta Rhei-Zeugs. Alles befindet sich in einem stetigen Wandel.

Wir fischte, ohne gross zu sprechen. Irgendwann sprach Laszlo mich auf mein Verhältnis zu meiner Mutter an.
- Deine Mutter bat mich ja dich für einige Tage hier bei mir aufzunehmen. Turbulente Zeiten momentan, wie?
- Naja, sie hat halt Panik und macht die ganze Zeit wie bescheuert Stress wegen der Schule und steckte mich in einen Nachhilfekurs.
- Ja, das sieht ihr irgendwie ähnlich. Früher als sie selbst noch Studentin war, war sie auch so enorm strebsam. Sie glaubt eben es gebe nur diesen Weg und ist da ein wenig engstirnig
- Mein Vater hat es aber auch geschafft, ohne dass er stets die Besten Noten hatte...
- Ok, aber dein Vater ist sowieso ein Spezialfall. Da weisst ja, dass ich nicht sehr viel von ihm halte
- Ich weiss, aber weshalb eigentlich? Ich habe das nie so recht verstanden und Mutter spricht praktisch kein Wort über ihn
- Sie verdrängt es halt wie so vieles in ihrem Leben. Willst du die ganze Geschichte hören?
- Klar!
- In Ordnung. Du kennst diesen Teil der Geschichte sicherlich bereits. Aber der Vollständigkeit halber erzähle ich ihn trotzdem nochmals. Es war 1988, also kurz vor der Wende, als dein Vater deine Mutter kennenlernte. Es war in Budapest am Palatinus Strand. Dein Vater machte damals gerade dort Ferien. Er war ganz alleine dort und ich fragte mich oftmals, weshalb er alleine reiste. Vermutlich wollte er irgendwelche Frauen aufreissen. So zumindest schätze ich ihn ein. Er war ein getriebener Taugenichts. Immer auf der Suche nach irgendetwas, das die Leere in seinem Innern auffüllen würde. Jedenfalls sah er deine Mutter am Palatinus und sprach sie an. Sie sprach damals zwar nur schlecht Deutsch, aber es hinderte deine Mutter nicht daran, sich in deinen Vater Hals über Kopf zu verlieben. Es war wohl jugendliche Naivität. Marika war damals 22 und dein Vater 26. 1989 floh deine Mutter über die Grenze nach Österreich und dann in die Schweiz nach Zürich, wo dein Vater zusammen mit Anarchisten ein Haus besetzt hatten.

Marika gefiel dieser Lebensstil; es war so total etwas Anderes, als das, was sie bisher kannte. Sie wurde von der braven, strebsamen Studentin zur Anarchistin oder zumindest zu etwas, von dem sie meinte, es sei anarchistisch und das, was sie wirklich wollte. Ihr Leben wurde eine Zeit lang geprägt von Drogen, Alkohol und politischen Veranstaltungen, die aber niemand ausser einer Handvoll anderer Anarchos interessierten.

Im Winter 1991 wurde Marika dann schwanger mit dir. So hart das nun auch klingen mag, aber du warst in dem Sinne nicht "geplant". Als du zur Welt kamst, veränderte sich einiges. Es fehlte Marika und deinem Vater an Platz und Geld und dein Vater, der in der Zwischenzeit sein Politikstudium abgeschlossen hatte, suchte einen Job. Er wurde bei einem grossen amerikanischen Unternehmensberater fündig. Es kam deswegen zum Zerwürfnis mit seinen Anarchistenfreunden, denn diese fanden, er hätte sich und seine Überzeugungen an "den Kapitalismus" verraten. Er und deine Mutter innerhalb einer Woche die Kommune verlassen. Mit viel Glück fanden sie eine Wohnung in einem tristen Hochhaus am Rande der Stadt. Deine Eltern verloren innert kürzester Zeit ihr gesamtes soziales Umfeld und fortan gab es nur noch dich, deine Mutter und deinen Vater.

Dein Vater arbeitete hart und bis spät Abends und er stieg rasch auf. Nur schien dieses zugegebenermassen kleinbürgerliche Leben nichts für deinen Vater zu sein. Er war und blieb in seinem tiefsten Inneren ein Filou, der sich eigentlich zu Höherem bestimmt sah.

- Halt mal, aber woher weisst du das alles so genau? Wie kannst du das behaupten?
- Guter Einwand. Wie du weisst, kam ich selbst kurz nach der Grenzöffnung ebenfalls in die Schweiz, weil man mir in Berner Universität eine Assistenzstelle angeboten hatte. In der Zeit nach deiner Geburt telefonierte ich häufig mit Marika und besuchte sie so oft es ging, denn sie litt damals stark unter der neuen Situation. Ich bekam so dann doch einiges mit über deinen Vater und seiner Weltsicht, die mir mehr und mehr zynisch und egoistisch zu sein schien. Dann schliesslich, du warst nicht ganz drei Jahre alt, verliess euch dein Vater. Mit der Begründung, dass er "leben müsse" und in diesem Leben ansonst ersticken würde. Dein Vater behauptete gegenüber deiner Mutter, dass er auf einer Geschäftsreise sei. Von dieser kam er jedoch nie mehr wieder zurück. Deine Mutter erhielt lediglich einen Brief, indem er sich entschuldigte und eben schilderte, dass er leben müsse und dazu erhielt sie fortan monatlich eine Alimentszahlung, deren Summe über die Zeit hinweg immer grösser und grösser geworden ist.

Doch diese Zahlungen vermochten die Risse im Herz deiner Mutter nicht zu kitten. Ihr Lebensentwurf hatte sich innert kürzester Zeit im Nichts aufgelöst und sie wurde im Verlaufe der Zeit zu einem anderen Menschen; sie stürzte sich in die Arbeit und begann alle möglichen Dinge zu verdrängen.

- Aber ich mag meinen Vater. Ich sehe ihn zwar nicht häufig, aber wenn, dann haben wir es immer gut. Mutter stänkert nur herum und engt mich ständig ein.
- Du bist ihr eben wichtig, denn du bist eben das Einzige, was ihr verblieben ist. Sie hat Angst, das du auf die schiefe Bahn geraten könntest. Logisch hast du es mit deinem Vater gut, wenn ihr euch seht. Wie oft ist das? Einmal in vier Monaten?
- Kommt etwa hin...
- Eben. Er glaubt wohl mit einem tollen Ausflug irgendwohin und teuren Geschenken würde er etwas zu deiner Erziehung beitragen. Aber das ist doch Blödsinn. Erziehung bedeutet Konflikte austragen und Grenzen aufzeigen, nicht alles durchgehen zu lassen. Weisst du, im Leben deines Vaters sind vor langer Zeit viele Dinge aus dem Gleichgewicht geraten. Wie er deiner Mutter gegenüber einmal erwähnte, hatte er keine eigentliche Jugend. Keine wirkliche Freundin und kaum Freunde und ein zerstrittenes Elternhaus.

Als dein Vater mit 21 Jahren letztlich von zu Hause auszog, änderte sich sein Leben schlagartig. Offenbar musste er all jene Dinge nachholen, die ihm in seiner Jugend verwehrt geblieben sind: Frauen, unvernünftig sein, Drogen, Alkohol, Rebellion. Von diesem Trip ist er wie es scheint auch heute noch nicht heruntergekommen. Das grösste Problem deines Vaters ist es, dass er nicht weiss, was er überhaupt mit seinem Leben anfangen will; dass er kein Bild hat, kein Ideal. Er ist ein Opportunist. Dazu kommt seine Feigheit, sein Unvermögen Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Schau ihn dir einmal an. Sein Leben ist nicht viel mehr als eine Maskerade. Eine Welt der schönen Bilder. Eine Wohnung in Paris, eine Wohnung in Lugano, viele Hotelaufenthalte. Wo ist er zu Hause? Das ständige Herumreisen?  Lediglich zweck dazu, um die Leere in seinem Innern zu verdrängen. Seine teuren Anzüge, sein teures Auto. Alles bloss Accessoires eine Kaste, die sich "globale Elite" nennt
- Den letzten Teil verstehe ich jetzt nicht mehr so ganz
- Entschuldige, ich habe mich wohl in Rage geredet. Was ich meine ist eigentlich, dass man im Leben gewisse Entscheidungen zu treffen hat und zu ihnen stehen muss, auch wenn es schmerzhaft ist. Es fällt mir nicht leicht, aber ich werde dieses Land in nächster Zeit verlassen.
- Was?! Weshalb denn das? Hier ist es doch schön...
- Schon, aber dieses Land geht langsam aber sicher vor die Hunde. Es wird von einem rechten Geisteskranken regiert, der ideologisch in die dunkelste Zeit des letzten Jahrhunderts passt. So genannte Bürgerwehren oder sprich ideologisch getrimmte Schlägertrupps ziehen durch die Dörfer und verprügeln Andersdenkende. Und die Bevölkerung schaut apathisch zu bzw. sie schaut eben weg und verdränt, dass die Verantwortung für das Land bei ihr selbst liegt...oder wenn man es auf deinen Vater ummünzen will, dann, dass jeder selbst für sein Leben verantowrtlich ist.

Laszlos Monolog machte mich nachdenklich und ich verstummte eine Weile lang. Er entschuldigte sich und meinte, dass er in letzter Zeit ein wenig aufgebracht sei und sich hier nicht mehr Wohl fühle, denn er merke, wie die Stimmung im Lande mehr und mehr gegen einen wie ihn koppe. Ich verstehe das und es ist irgendwie schon krass, wie wenig die Menschen aus der Geschichte zu lernen scheinen...

2 Kommentare:

  1. also ich für meinen teil versinke in deinen texten, sobald ich die ersten fünf sätze gelesen habe... - fotos hin oder her :)

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  2. Schön zu hören :) Mag deinen Blog auch sehr!

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